«Hier sind mehr Frauen*, verdammt!»

Sie bereiten den Streik seit Monaten vor: Frauen*streik-Aktivistinnen*, hier an der 1. Mai-Kundgebung in Bern. bild: vithyaah subramaniam

16. Mai 2019

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Geschlechterdiskriminierung ist an Schweizer Hochschulen auch heute noch Alltag. Dies erklären vier Studentinnen*, die sich an der Universität Bern für den Frauen*streik engagieren.

Valentina: Viele Studierende haben das Gefühl, an der Uni sei die Gleichstellung der Geschlechter erreicht. Wer genauer hinschaut, merkt: Das stimmt überhaupt nicht. Mit dem Frauen*streik will ich meinen Mitstudierenden zeigen: Hey, ihr könnt was verändern. Auch in eurem Studium.

Melina: So ist es auch bei mir im Bio. Viele sagen: «Wir sind mehr als 50% Frauen*, dann ist doch alles easy.» Ich frage sie: «Wie viele Frauen* stehen vorne und dozieren? Wie viele Texte von Frauen* lesen wir?» Und dann der ganze Alltagssexismus. Ich möchte so gerne, dass die Leute sagen: Wir haben ein Problem an der Uni und es ist nicht okay, so wie es läuft. Aber das ist nicht der Fall. Niemensch spricht geschlechtergerecht. Es wird auch bei schriftlichen Arbeiten nicht erwartet. In anderen Fächern ist das anders. Das muss überall ein Beurteilungskriterium sein!

Jelena: Mein Engagement für den Frauen*streik hat bei mir so viel ausgelöst, gerade in Bezug auf die Uni. Bei mir in der Politikwissenschaft gibt es nur einen Dozenten, der Wert auf Gleichstellungsfragen legt. Er spricht geschlechtergerecht. Und er sagt: Anwesenheitslisten diskriminieren Frauen*, die Kinder hüten müssen. Ich habe ihm erst vor Kurzem ein Merci-Mail geschrieben dafür, dass er sich als einziger Dozent diese Mühe macht. Ein ganz anderes Beispiel: Ich hielt einen Vortrag über den Ständerat. Dort sind grossmehrheitlich weisse Männer* drin. Überhaupt nicht repräsentativ. Und dann sagte ich halt in der Einleitung des Referats: Das kann’s doch einfach nicht sein, ich fühle mich null repräsentiert von dieser Kammer. Und der Dozent und etwa die Hälfte im Seminar so: «Oh Mann, d Jelena wider».

«Wir haben ein Problem an der Uni und es ist nicht okay, so wie es läuft.»

Valentina: Gerade wenn es um Vereinbarkeit geht. Da müssen die Dozierenden sensibilisiert werden. Beispiel Anwesenheitspflichten: Ich war auf einem Treffen mit den Dekanatsleiter*innen und sprach die zwei Absenzen an, welche pro Semester maximal erlaubt sind. Es hat sich herausgestellt, dass dies Ermessenssache der Dozierenden ist – und keine Pflicht. Ausserdem heisst es immer, Gleichstellung brauche Zeit. Dabei hatten wir schon in den 1980er Jahren 30% Frauen* bei den Studis. Vierzig Jahre später haben wir immer noch bloss 20% weibliche* Professor*innen. In der Unileitung sitzt seit vielen Jahren bloss eine Frau* in wechselnder Besetzung. Das wahre Problem ist nicht die Zeit, sondern die Tatsachen, dass Männer Männer nachziehen und die Uni-Strukturen familienunfreundlich sind. Chancengleichheit sieht anders aus. Viele finden, Quoten seien eine extreme Forderung. Ich finde eher: Es ist ein extremer Missstand, dass wir heute noch über Quoten sprechen müssen. Niemensch ist Fan von Quoten. Aber kurzfristig ist es wohl die einzige Lösung. Die Fragen, wer in der Unileitung sitzt oder einen Lehrstuhl innehat, betreffen uns alle.

 

 

Melina: Die Uni ist eine superhierarchische Institution. Solange sich dies nicht ändert, müssen wenigstens die Machtpositionen gerecht verteilt werden. Dazu braucht es keine unverbindlichen Empfehlungen, es braucht zwingende Vorschriften.

Valentina: In einem hierarchischen Gebilde wie der Uni ist eine gerechte Verteilung der Macht zwischen den Geschlechtern zentral. An der Uni sind die Abhängigkeiten so gross. Stell dir vor, du doktorierst in einem bestimmten Bereich und es gibt genau einen Spezialisten, der dich betreuen kann. Da kannst du nicht einfach mal rebellieren, wenn dir Unrecht geschieht. Der Spezialist könnte sich vieles erlauben. Und du überlegst es dir zweimal: Soll ich wirklich ein paar sexistische Sprüche oder Berührungen melden? Oder ist mir meine Karriere wichtiger?

Sarah: Ich hatte Rechtsphilosophie im Grundlagenfach. Eine Kommilitonin fragte den Dozenten: Wo sind hier eigentlich die Philosophinnen* bei den Texten? Und der Dozent antwortete: In diesem Zeitalter hatten die Frauen* nichts zu sagen. Die kommen dann im 20. Jahrhundert. Ich schöpfte Hoffnung, leider vergebens. Bei den modernen Texten wird Habermas hoch- und runtergebetet.

«Soll ich wirklich ein paar sexistische Sprüche oder Berührungen melden. Oder ist mir meine Karriere wichtiger?»

Melina: Der Kanon ist nicht in Stein gemeisselt. Männliche Autoren sind Klassiker, weil Männer die Klassiker vorgeben.

Jelena: Kennt ihr die ganze Geschichte von Einstein und seiner Frau? Sie haben die Relativitätstheorie gemeinsam entwickelt. Das ist den meisten unbekannt.

Sarah: Was? Wirklich?

Jelena: Ja. Und dann hat er seine Frau ins Exil geschickt. Anyway. Solche Sachen: Das wäre praktisch zu wissen.

Valentina: Die Sache mit Einstein kommt an der Uni Bern bestimmt nicht so gut an.

Jelena: Wir brauchen mehr Platz für Reflexion. Bei mir im Studium heisst es häufig: Das musst du wissen, dann ist die Prüfung und dort musst du es rausspucken.

«Als Woman of Color musst du dich immer erklären: Warum bist du so wie du bist?»

Sarah: Ich habe mir nach meinem Studium der sozialen Arbeit gesagt: Ich studiere Jus, damit ich Dinge kritisch reflektieren kann. Aber keine Chance. Du lernst, wie du gewisse Strafrechtsschemen durchgehst. Aber sich mal kritisch zum Beispiel mit der Rechtsprechung zu sexualisierter Gewalt befassen? Das wird kaum thematisiert. Wenn du nicht einmal im Jus-Studium über deine Rechte aufgeklärt wirst, wo dann? Und ja: Sexismus ist auch bei mir im Studium nach wie vor salonfähig. Du musst dich nach wie vor rechtfertigen, wenn du nicht über sexistische Sprüche lachst. Ich finde das nicht lustig. Und ich finde es auch nicht lustig, wenn ein Dozent immerzu sagt: Wenn Sie mal Anwalt sind, wenn Sie mal Jurist sind. Dann denke ich: Hey, schau doch mal in diesen Vorlesungssaal, verdammt. Hier sind mehr Frauen* als Männer.

 

 

Valentina: Der Streik ist nicht nur für Hetero-Cis-Frauen, er ist auch für inter, trans und nicht-binäre Personen. Da besteht an der Uni grossen Handlungsbedarf. Ich meine: Mein Gott, jetzt kannst du endlich noch während der Transitionsphase im Uni-System den Namen und den Geschlechtereintrag anpassen – zu männlich oder weiblich – damit du nicht fremdgeoutet wirst. Dafür haben wir hart gekämpft. Ich besuche viele Seminare zu Sexualität oder Beziehungen. Die Studien, die wir behandeln, sind sehr häufig heteronormativ. Bei mir im Psychologiestudium werden queere Geschlechtsidentitäten nach wie vor pathologisiert, sie nennen das Gender-Dysphorie, es gilt als psychische Störung. Der Raum, um dies zu hinterfragen, müsste von den Dozierenden eröffnet werden. Wenn sie es nicht machen, wird es verdammt schwierig.

Sarah: Ich habe schon früh gespürt, dass es bezüglich Gleichstellung noch so viel zu tun gibt. Ich wuchs im Wallis auf. Das war sehr bereichernd, aber nicht immer einfach. Als Woman of Color aus einer «binationalen» Ehe musst du dich immer erklären: Warum bist du so wie du bist? Dass ich solche Fragen immer zu hören kriege, sagt so viel über unser Land aus. Das muss sich ändern.

Valentina: Für Veränderung brauchen wir mehr starke, weibliche* Vorbilder, die nicht sexualisiert sind – oder mehr Sichtbarkeit für diese Frauen*!

Jelena: Ich hatte nicht viele Vorbilder, aber sie waren so wichtig für mich. Als ich zehn Jahre alt war, hab ich mir alleine einen vierstündigen Jeanne d’Arc Film angeschaut. Das hat mich umgehauen. Ich dachte: Hey, ich will auch ein Heer führen. Filme sind wichtig für die Politisierung. Und Social Media. Ich bearbeite jetzt schon meine kleinen Schwestern, damit sie gute Feministinnen werden. Kürzlich kam meine elfjährige Schwester nach Hause und erzählte mir, dass die Buben gemein zu ihr waren und ihr gesagt haben, ihre Shorts seien zu kurz. Und ich so: Was? Das lässt du dir nicht sagen. Als ich klein war, musste ich mir in einer solchen Situation selbst helfen.

Sarah: Meine Mutter arbeitete, mein Vater blieb zu Hause. Es gab damals keine Arbeit für ihn, seine Diplome wurden von der Schweiz nicht anerkannt. Das war 1993. Es gab damals nur das Mutter-Kind-Turnen. Mein Vater kam immer mit. Und ich musste das als Kind rechtfertigen. Die anderen Kinder fragten: Hast du kein Mami?

***

Dieser Text erschien in der bärner studizytig #16 Mai 2019

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